Erbauung in Zeiten ideologischer Grabenkämpfe

Genuß muß nicht teuer sein. Ein Spaziergang kann den Flaneur mehr erfreuen, als ein aufwendig bereitetes Mahl. Augenschmauß bietet die Kokette mit Pelz um die Schultern und locker hochgesteckten Haaren vor Berliner S – Bahnkulisse. Selbstvergessen saugt sie an ihrem rot lackierten Fingernagel. Großstadt, das bedeutet Bewegung, Menschenmengen, Hast, Geschwindigkeit, Wandel und – Konsum. Großstadt ist aber die Heimat des Flaneurs. Gerade im Gedränge die Anonymität versprechend, tritt er ein, um als ziellos Wandelnder den Blick schweifen und in der Menge der Bilder die Grenzen von Realität und Phantasie verschwimmen zu lassen.
Vom Betrachter zum ästhetischen Objekt werdend, genieß die junge Frau sowohl das Treiben in der Großstadt als auch die ihr entgegengebrachte Aufmerksamkeit.
Sehen und gesehen werden – das gilt auch für die im Museum schwelgenden Kunstkenner. Das in Würde gealterte Paar zelebriert gemeinsam auf Museumsbesuch ihre Kennerschaft (die Kenner). Warum auch nicht. Besser als den Enkeln beim Pokemon spielen hinterher zu laufen.
Viel kann auf einem Museumsbesuch passieren. So war die Vegetarierin bei ihrem Besuch in Louvre nicht darauf gefaßt, sich in den Vertumno des Archimboldo zu verlieben (Liebe geht durch den Magen – die Vegetarierin).
Will der Reisende Land und Leute kennen lernen oder sich der ungeschminkten Realität im besuchten Land aussetzen? Kaum. Eher die mitgebrachten Klischees aufspüren, die er in vielen neckischen Selfies postet. „Brot und Spiele“ bedeuten für die Touristen gutes Essen und Attraktionen im heutigen Rom. Des einen Genuß ist des andern Last: Die Bäckerin, aus der Puste geraten, muß noch Mehl ranschaffen, damit die jungen Touristinnen ihre Pizza bekommen, der grimmige Legionär ist auf der Suche nach zahlenden Gästen (Brot und Spiele).
Vier New Yorker Polizisten in Parade-Uniform unterwegs auf Streife. Der Duft hat sie vor den asiatischen Imbiss gelockt. Im Gänsemarsch patrouillieren die adretten Beamten an den gebratenen Enten im Schaufenster vorbei. Ein Defilee der Eitelkeit und Inkompetenz. Der letzte Kollege scheint ein bisschen aus dem Tritt gelangt zu sein. Den Betrachter anblickend, versucht er wieder in die Spur zu kommen, während dessen drückt der Asia-Imbissmann „staunend“ seine Nase an der Grillstange platt.
In China kann man noch auf den Märken frisch und sichtbar den Speisen frönen (Chinesisches Frühstück). Zuerst muß die resolute Marktfrau Hand anlegen(Entenklein),
damit eine knusprige Pekingente auf dem Teller hungriger New Yorker Polizisten landet.
In den Interieur-Szenen finden sich Momente der Ruhe und Intimität. In der Bettszene scheint sich das Mädchen, in eindeutiger Pose mit einem Skelett, durch den Betrachter gestört zu fühlen. Das ist nicht die klassische „Das Mädchen und der Tod“ Thematik sondern ein kleines Tête-à-tête. Für wen die Umarmung im „Todeskuss“ tödlich war (oder ist) kann nicht sicher nachvollzogen werden. Genuß findet sich bei beiden.
Clara Kahn

 

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